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Wann handelt die Politik endlich?

01. Mai 2018 Klaus-Peter Görlitzer

Hohe Luftbelastung und Lärm an der Hamburger Straße.

Wer an der Hamburger Straße wohnt, sich dort zu Fuß oder mit dem Rad bewegt, weiß aus Erfahrung: Es ist dort laut, und die Luft ist dreckig. Das Bezirksamt hat nun ein Szenario zur Entwicklung der Magistrale Nord präsentiert. Das „strategische Leitbild“ sieht nicht vor, den Autoverkehr dort spürbar zu verringern – und die Umweltbehörde will das offenbar auch nicht.

„Decke auf, wo Atmen krank macht“ – unter diesem Motto hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Anfang des Jahres interessierte Bürger dazu aufgerufen, die Luftbelastung mit gesundheitsschädlichem Stickstoffdioxid zu messen. Auch der Stadteilrat Barmbek-Süd machte mit: Am 1. Februar haben wir zwei Messröhrchen (sog. Passivsammler) an einem Verkehrsschild an der Hamburger Straße befestigt, wenige Schritte entfernt von der Fußgängerampel, nahe Haspa und U-Bahnstation Dehnhaide. Vier Wochen später haben wir die Messröhrchen demontiert. Das Ergebnis der Analyse, bezahlt von der DUH und vorgenommen vom Schweizer Prüflabor Passam, wurde am 22. März bekannt gemacht: „Der von Ihnen gemessene Standort“, so die DUH, „lag bei einem Wert von 47,9 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft.“

Das bedeutet: Der seit 2010 geltende Grenzwert zum Schutz der menschlichen Gesundheit (40 Mikrogramm im Jahresmittel) wurde im Februar 2018 an der Hamburger Straße um 20 Prozent überschritten! Und das ist riskant: Stickstoffdioxid, ausgestoßen vor allem von Dieselfahrzeugen, wird bundesweit für etwa 6.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr und diverse Erkrankungen verantwortlich gemacht, schreibt das Umweltbundesamt.

Der Stadtteilrat hat die Politik in Stadt und Bezirk wiederholt aufgefordert, die Luft- und Lärmbelastung zu vermindern und sicher zu stellen, dass mindestens die geltenden Grenzwerte eingehalten werden, etwa durch Reduzierung von Fahrspuren und Anordnung von Tempo 30. Unsere schriftliche Eingabe vom November ( siehe Stadtteilinfo Nr. 49 ) mit der Frage, ob und welche Maßnahmen geplant und realisiert werden, hat die Bezirkspolitik noch immer nicht beantwortet.

Nichts Verbindliches zwecks Verringerung des motorisierten Verkehrs steht auch im neuen Gutachten zur Magistrale Nord, die sich über rund vier Kilometer vom Mundsburger Damm über Hamburger Straße und Barmbeker Markt bis zur Bramfelder Straße erstreckt. Ergebnisse der Studie, im Auftrag des Bezirksamts Nord von externen Gutachterbüros erstellt, wurden am 25. April in der Hochschule für Bildende Künste vorgestellt. Laut Ausschreibung sollten die Experten vor allem Standorte für den Bau neuer Wohnungen und die Aufstockung bestehender Gebäude entlang der Magistrale identifizieren – und auch darstellen, wie sich sich Lärm und Luftschadstoffbelastungen entwickeln würden und beeinflussen ließen. Konkrete Zahlen nannten die Fachleute bei ihrer Ergebnispräsentation aber auch auf Nachfrage nicht, weder zu Wohnungen noch zu Fahrzeugen.

Die Gutachter haben binnen eines Jahres zwei Entwicklungsszenarien erarbeitet. Die erste Variante will den Autoverkehr offenbar gar nicht beeinflussen. Das zweite Szenario soll dagegen teils auch einen „Rückbau der KfZ-Infrastruktur“ einschließen, um deutlich mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer zu schaffen. Das klingt visionär, bedeutet aber keineswegs, dass auf der Magistrale etwa durchgängig je eine Auto-Fahrbahn weggenommen würde. Wie sich die Gutachter ihre visionäre Variante vorstellen, skizzieren sie in einer 16-seitigen Broschüre, die man auch im Internet anschauen kann: hamburg.de/magistrale-nord/

Das laut Bezirksamtsleiter Harald Rösler „neue strategische Leitbild“ soll nach den Sommerferien von der Bezirksversammlung beschlossen werden – ungewiss ist, welche Variante sie befürwortet. Rechtsverbindlich wird aber keines der beiden Entwicklungsszenarien sein, und es ist auch überhaupt nicht sicher, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine systematische Umgestaltung der gesamten Magistrale realisiert wird. Vielmehr soll die Verwaltung sich stets dann am neuen Leitbild orientieren, wenn es gilt, einzelne Bauprojekte entlang der Hauptverkehrsstraße zu planen.

Wer dort gesündere Verhältnisse anstrebt, sollte sich dabei jeweils einmischen. Von Seiten des Senats ist wohl wenig zu erwarten, was auch ein aktuelles Schreiben der Umweltbehörde an den Stadtteilrat zeigt. Im Auftrag des Senators Jens Kerstan erklärte Gudrun Pieroh-Joußen vom Amt für Immissionsschutz am 16. April, dass auf der Hamburger Straße, „je nach Abschnitt“, täglich zwischen 48.000 und 61.000 KfZ fahren, „mit einem Schwerlastanteil von ca. 3 %“. Und dann offenbarte Kerstans Mitarbeiterin, die auch Hamburgs Fluglärmschutzbeauftragte ist, die Perspektive der Umweltbehörde: „Eine Reduzierung der Fahrspuren ist vor dem Hintergrund der Aufrechterhaltung der Verbindungsfunktion und der Leistungsfähigkeit aus verkehrlicher Sicht nicht vertretbar.“ Zudem stellte sie klar, dass die bekannt laute Hamburger Straße nicht im Lärmaktionsplan von 2013 stehe. Ob sie in den künftigen Plan aufgenommen werde, „lässt sich derzeit noch nicht sagen“, schrieb Pieroh-Joußen und erklärte: „Ein unabhängiger Gutachter wird die Lärmsituation und Betroffenenzahlen evaluieren.“

Der Stadtteilrat bekräftigt sein Leitbild: Solange die Magistrale nicht deutlich leiser und sauberer wird, ist Wohnungsbau dort unverantwortlich.

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