Mehr Wohnungen, weniger Autoverkehr?
01. Juli 2017 Klaus-Peter GörlitzerDie Hamburger Straße ist laut, dreckig und ungesund, mindestens für die Anwohner. Gutachter nehmen derzeit im Auftrag des Bezirksamts Nord auch diese Straße unter die Lupe. Ziel der Behörde ist es aber nicht, den motorisierten Verkehr deutlich zu vermindern – sondern ermitteln zu lassen, wo noch Platz für neue Wohn- und Gewerbehäuser sein könnte.
Hans-Peter Boltres leitet das Fachamt für Stadt- und Landschaftsplanung im Bezirk HH-Nord. Und er beherrscht offenbar auch diverse Fremdsprachen. Das Wort „Magistrale“ stamme aus dem Lateinischen, weiß Boltres, Verkehrsexperten würden statt „Magistrale“ auch gern Begriffe wie Avenue, Boulevard oder Main Street benutzen. Anlass für solche Erläuterungen bot eine Infoveranstaltung des Bezirksamts am 14. Juni in der Hochschule für Bildende Künste am Lerchenfeld.
Die „Magistrale“, um die es dabei ging, ist etwa vier Kilometer lang und eine Hauptverkehrsstraße; sie reicht vom Mundsburger Damm über Oberaltenallee, Hamburger Straße, Barmbeker Markt bis zur Bramfelder Straße. Auf manchen Abschnitten sollen, laut offiziellen Zählungen, täglich über 60.000 Kraftfahrzeuge rollen – in einem Bereich, in dem mehrere Tausend Menschen wohnen und arbeiten. An der lärmenden Dominanz des KfZ-Verkehrs wird sich wohl auch perspektivisch nichts wesentlich ändern, zumindest wenn es nach den Ideen der politisch und behördlich Zuständigen geht. Die Infoveranstaltung diente dazu, Ziele eines städtebaulichen Gutachtens darzustellen, vergeben im April 2017 vom Bezirksamt Nord an die „ppp architekten + stadtplaner gmbh“.
Auf mündliche Nachfrage anwesender Bürger erklärten beteiligte Planer, was Bezirksamtsleiter Harald Rösler (SPD) schon mal der CDU-Fraktion schriftlich erläutert hatte: Es solle die „künftige Entwicklung des Magistralenraums“ gutachterlich untersucht werden, „ohne die Verkehrsfunktion einzuschränken“. Auftragsziel sei es, städtebauliche Ideen zu sammeln, nicht aber konkrete Straßen- und Umbaumaßnahmen zu planen. Die 12-seitige Aufgabenbeschreibung für die Planer, zu finden online im Hamburger Transparenzportal, gibt den Gutachtern auf, entlang der Magistrale „Entwicklungsmöglichkeiten auch für den Wohnungsbau“ aufzuzeigen; zudem sollen die Auftragnehmer „beispielhafte Ansichten“ für „Nachverdichtungspotentiale im Wohnungsbau“ darstellen.
Moderiert wurde die Infoveranstaltung vom Unternehmens- und Politikberater Markus Birzer, den Firmen und Behörden im Zusammenhang mit umstrittenen Großprojekten gern beauftragen, um das Gespräch mit potenziell kritischen Bürgern zu suchen.
In Sachen Magistrale kontaktierte Birzer auch den Stadtteilrat Barmbek-Süd, und so kam es am 21. Juni zu einem Treffen mit Mitgliedern des SprecherInnenteams. Dabei bestätigte sich der Eindruck, dass das rund 137.000 Euro teure Gutachten bewusst nicht darauf zielt, an der Verkehrsbelastung wesentlich was zu ändern. Statt dessen geht es vor allem um „Nachverdichtung“ und die Identifikation von Flächen für Neubauten – allerdings ohne gleichzeitig zu untersuchen, welchen Einfluss eine weitere Bebauung entlang der Magistrale wohl auf das innerstädtische Klima ausüben würde. Sprecher des Stadtteilrats haben Herrn Birzer darauf hingewiesen, dass von Planern im Magistralengebiet zuallererst erwartet werden muss, dass sie alles dafür tun, dass endlich die geltenden Luft- und Lärmgrenzwerte eingehalten werden; dies müsse auch Hauptziel städtebaulicher Gutachten, Leitbilder und Maßnahmen sein. Der KfZ-Verkehr ist so weit zu verringern, bis die geltenden Regeln eingehalten werden. Als wirksame, zu untersuchende Maßnahmen bieten sich zum Beispiel die Reduzierung und Verengung von Fahrbahnspuren an, außerdem ein Tempolimit auf 30 km/h. Die krank machende Verlärmung an der Hamburger Straße wurde bereits vor Jahren gutachterlich und auch im behördlichen Auftrag festgestellt, und im Stadtteilinfo Nr. 44 titelten wir im November 2016: „Hamburgs lauteste Straße liegt in Barmbek-Süd“. Die Fakten sind also längst bekannt, es fehlt aber erkennbar an praktischen Konsequenzen der Verantwortlichen in Politik und Behörden.
Es liegt noch mehr im Argen. Die Luft entlang der Magistrale dürfte nicht wirklich besser sein als an der Habichtstraße in Barmbek-Nord, die laut Umweltbundesamt ja zur Top Ten der dreckigsten Straßen in ganz Deutschland zählt. Die Stickstoffdioxid-Grenzwerte werden dort ständig deutlich überschritten, die politisch Verantwortlichen schauen tatenlos zu. An der Hamburger Straße gibt es bisher nicht mal eine Messstation. Also haben Sprecher des Stadtteilrates Herrn Birzer dies mit auf den Weg gegeben: Insbesondere an der Hamburger Straße muss permanent gemessen werden, wie hoch die Luft mit Schadstoffen verschmutzt ist – und aus den Feststellungen müssen praktische Konsequenzen gezogen werden, zum Beispiel Beschränkung des motorisierten Verkehrs, siehe oben.
Die Ergebnisse des Magistralen-Gutachtens sollen öffentlich dokumentiert werden und die „Leitbildentwicklung“ für die Zukunft der Magistrale unterstützen. Eine Kurzfassung soll eine 16-seitige Broschüre bieten und, laut Aufgabenbeschreibung, bereits bis November fertig sein, geplante Druckauflage: 500 Stück.
Wie gesagt: Das Gutachten ist nicht mehr als eine Expertise, für deren Anfertigung es ja keine formalen Beteiligungsrechte gibt. Immerhin hat das Bezirksamt im Internet ein Portal https://www.hamburg.de/magistrale-nord einrichten lassen, wo interessierte Bürger online Ideen, Kritik und Anregungen öffentlich hinterlassen konnten. Allerdings nur vier Wochen lang, die Frist für derartige Anregungen endete am 4. Juli.
Die meisten Beiträge, die man dort lesen kann, setzen tatsächlich andere Prioritäten als Wohnungsbau und Nachverdichtung entlang der verlärmten Magistrale – gewünscht werden vornehmlich weniger Autoverkehr, Verbesserungen für Radfahrer und Fußgänger, auch Maßnahmen, um die Qualität des Wohnumfelds zu fördern. Alle Texte, so das Versprechen des Bezirksamts, sollen auch nach Abschluss dieser „Beteiligungsphase“ online stehen bleiben. Surfen Sie bei Gelegenheit mal hin!